In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich?

 

Warum werden wir bei Anträgen, z.B. bei der Beantragung des persönlichen Budget, ständig ignoriert, weitergeleitet, auf unbestimmte Zeit auf irgendwelche Wartelisten gesetzt und ständig mit unsinnigen Fragen schikaniert?

 

Dies ist ein Verstoß gegen SGB IX §§ 55, § 57 Recht auf Verständigungshilfe!

 

Ich bin Vorsitzender des Vereins Initiative Schlüssel für Alle e.V., und schreibe nicht nur in eigener Sache, sondern im Namen vieler Betroffener meines Vereins und anderer.

 

Wir alle können von Geburt an weder hören noch sprechen, sind also Gehörlose. In unserem Schwerbehindertenausweis ist die Sinnesbehinderung mit dem Kürzel GL gekennzeichnet.

 

Einige unserer Mitglieder haben vor über einem Jahren Antrag auf das persönliche Budget gestellt und haben bis heute kein Ergebnis, andere warten seit 2-4 auf die Genehmigung einer Verständigungshilfe z.B. persönliche Assistenz , KommunikationshelferInnen. Doch statt einer Entscheidung kommen immer wieder Schreiben der zuständigen Institutionen mit Vermerken wie „kann nicht abgeholfen werden“ oder „wir sind nicht zuständig“.

 

Monatelanger Verzögerungstaktik, weitergeleitet an verschiedene Institutionen - das ist für gehörlose Betroffenen  wie ein weiterer „großer Stein“, denn bereits die Antragstellung war für jeden einzeln ein Kampf, denn keiner hatte eine  Kommunikationshilfe.

 

Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Viele haben sich wahrscheinlich noch gar nicht offen dazu gemeldet, weil sie erschöpft sind. Das ist schlimm!!

 

Nun frage ich mich- wieso macht man es uns doppelt Sinnesbehinderten so schwer am Leben teilzunehmen? Was ist an der Einschätzung unseres fehlenden Hörvermögen und des damit verbundenen fehlenden Sprachvermögens so kompliziert? Was sollen all die diffusen Fragen nach unserem bisherigen Verständigungsweg?

 

Ist es nicht selbstverständlich, dass ein Hörender am effektivsten einen Nicht-Hörenden unterstützen kann?`Ist der einfachste Weg nicht der, durch Unterstützung einer zweiten Person weniger isoliert zu sein und Hilfe bei Amtsgängen, Arztterminen und andere Erledigungen zu bekommen? Es würde nicht nur uns Betroffenen sondern auch den genannten Personenkreisen das Miteinander um so vieles erleichtern, Umgangszeiten weniger schwierig gestalten und am Ende beiden Seiten helfen!

 

Ich erklärte den Behörden genau, was die Aufgabe eines Kommunikationshelfers ist, wofür ein Gehörloser diese Hilfe benötigt usw.. Doch alle Anträge wurden abgelehnt oder eine Entscheidung verweigert, entsprechende Anliegen werden an andere Institutionen abgewälzt, wohlweißlich, dass von dort aus wegen sachlicher Unzuständigkeit keine Entscheidung erfolgen kann und irgendwann die nächste Weiterleitung erfolgen wird. Wieder vergehen Monate und Jahre, in denen die uns zustehende Hilfe schlichtweg auf subtile Weise verweigert wird. Im gebräuchlichen „Amtsdeutsch“ heißt dieses Spiel auf Zeit nur anders. In dem geschilderten Verhalten der Entscheidungsträger sehe ich einen Verstoß gegen SGB § 55, § 57 Recht auf Verständigungshilfe.

 

Was ist das für eine Gesellschaft, die uns Sinnesbehinderten unser Recht so streitig macht?

 

Schlimm genug ist schon, dass eine Behinderung den betroffenen das Leben allgemein erschwert. Im Falle unserer doppelten Sinnesbehinderung mit fehlendem Hör- und Sprachvermögen werden wir meiner Meinung nach wie „ unsichtbar“ behandelt, was wir ohne Kommunikationshilfe für die Mehrheit unseres hörenden Umfelds auch sind. Unsere Bitten landen im rechtsleeren Raum, unsere Anliegen werden auf Zeitpunkt ungewiss abgewälzt, vertagt, weggelegt. Wir möchten wie alle Menschen gleichberechtigt am Alltag teilnehmen, Chancen wahrnehmen, unsere Selbstbestimmung leben, von der Umwelt verstanden werden und sie selbst verstehen. Doch ohne Kommunikationshelfer bleiben wir außen wie innen einsam und isoliert – mitten in der Sozialgemeinschaft.

 

Viele unsere Mitglieder haben keinerlei Hilfe erhalten. Es gibt Hörbehinderungen verschiedener Stufen, die bei der Beantragung des persönlichen Budget beachtet werden müssen.

 

Trotz geduldiger Beantwortung der zahlreichen, peniblen Fragen über das derzeit gehörlose oder hörbehinderte Leben, trotz langen Kampfes folgen schließlich Antworten wie „nicht wichtig genug“, "nicht für den Zuspruch einer Hilfe geeignet" oder "konnten nicht abhelfen".

 

Verstehen Sie das bitte – für mich liest sich das wie eine pure Diskriminierung Gehörloser!

 

Finden Sie das gerecht?

 

Lahme erhalten ohne Probleme einen Rollstuhl – natürlich, denn ohne diese Fortbewegungshilfe können sie nicht am Alltag teilnehmen.

 

Blinde erhalten ohne Umstände einen Assistenten oder einen Blindenhund – natürlich, denn ohne diesen Sehersatz können sie keinerlei soziale Aktivitäten vornehmen.

 

Doch wir Gehörlose mit zweifacher Sinnesbehinderung werden anders behandelt.

Mir scheint es fast so, als müsse es uns nach Meinung der Leistungsträger genügen, gehen und sehen zu können.

 

Sprache und Gehör zählen weniger als alle anderen Sinne – warum?

 

Wir wünschen uns ein Bildtelefon – Bescheid negativ. Wir beantragen einen PC mit integrierter Webcam – keine Leistung.

 

Jahrelang kämpft jeder Einzelne von uns mühselig und isoliert um eine persönliche Assistenz, einen Kommunikationshelfer – um schließlich mit leeren Händen am Anfang zu stehen.

 

Vielleicht sind Sie auch betroffen?

 

Dann bitte kontaktieren Sie uns!

Initiative Schlüssel für Alle e.V. 0